Wir haben zwar keine globale Pandemie vorhergesagt, aber wir wussten, dass die Zeit für digitales Recruiting kommen würde. Schließlich ist die Personalbeschaffung schon seit Jahrzehnten virtuell möglich. HR-Expertin Anna Brandt zeigt bewährte Praktiken für die erfolgreiche Einstellung und Einarbeitung mobil arbeitender Mitarbeiter im Homeoffice.
Für Personalbeschaffungsmaßnahmen gehen durch Anzeigen, Bewerbungsgespräche, Einstellungen und Onboarding viel Zeit, Mühe und Geld verloren. Angesichts der Produktivitätseinbußen, die jeder Neuzugang in den ersten Monaten seiner Einarbeitungszeit darstellt, überrascht es nicht, dass Unternehmen keine Mühen und Kosten scheuen, die geeigneten Arbeitskräfte für ihr Unternehmen zu finden. Immerhin sollen diese dann längere Zeit im Unternehmen bleiben. Eine hohe Mitarbeiterfluktuation kann sich niemand leisten. Beim digitalen Recruiting und Onboarding im Homeoffice gilt dies umso mehr. Schließlich können Personaler hier nicht halbherzig zum ersten Mal in einem Vorstellungsgespräch den Lebenslauf eines Bewerbers durchblättern. Jaja, wir haben das alle schon einmal erlebt...😉
Unvorbereitet in ein Gespräch zu gehen wirkt allerdings alles andere als professionell und seriös: Employee Benefit News (EBN) berichtete, dass die Einstellung und Einarbeitung eines neuen Mitarbeiters 33% des Jahresgehalts eines Arbeitnehmers kosten kann. Diese Kosten sind enorm, immerhin verlässt laut einer Studie von Willis Tower Watson jeder dritte Arbeitnehmer sein neues Unternehmen innerhalb von zwei Jahren. Frühes Handeln kann dieser Entwicklung entgegenwirken. Schließlich lassen sich die meisten Gründe für eine hohe Mitarbeiterfluktuation problemlos vermeiden, wie Rekrutierungsexpertin Anna Brandt hervorhebt.
Anna arbeitet seit über 13 Jahren in der Personalbeschaffung in globalen Führungspositionen. So begleitete sie Unternehmen wie Uber, Zalando, TomTom, N26 und Mollie in verschiedenen Wachstumsphasen und half ihnen, ihre Rekrutierung erfolgreich zu organisieren. In den letzten Monaten stellte Anna beispielsweise während der Corona-Pandemie sechzig neue Mitarbeiter im Homeoffice für Mollie ein. Mit dieser langjährigen Erfahrung im Gepäck kennt sie das Erfolgsgeheimnis für digitales Recruiting und Onboarding-Strategien im Homeoffice, um die richtigen Kandidaten zu finden und ihnen das Gefühl zu geben, Teil einer Unternehmenskultur zu sein.
1.Menschlich sein als Schlüssel
"Alles kann remote im Homeoffice erledigt werden. Persönlich ist es jedoch immer besser."
- Anna Brandt
Anna zufolge besteht das Grundprinzip darin, den digitalen Recruiting- und Einarbeitungsprozess für neue Mitarbeiter im Homeoffice, menschlicher zu gestalten. Alle Entwicklungen der Personalabteilung sollten so persönlich und menschlich wie möglich gestaltet werden.
In den letzten Monaten haben viele von uns die Erfahrung gemacht, dass im Grunde alles im Geschäftsleben im Homeoffice erledigt werden kann. Viele hatten jedoch mit Gefühlen der Einsamkeit, unpersönlichen Meetings und zu wenig Struktur zu kämpfen. Entscheidend ist hier, den Rekrutierungs- und Einarbeitungsprozess so zu gestalten, dass die neuen Mitarbeiter sich persönlich abgeholt und eingebunden fühlen.
2. Digitales Recruting
Personalmanager sollten immer damit beginnen, ihre Rekrutierungsprozesse so zu optimieren, dass sich die Mitarbeiter gehört und verstanden fühlen. Viele Untersuchungen zeigen, dass der wichtigste Faktor für Bewerber das Gefühl ist, dass genug Zeit mit ihnen verbracht wurde. Viele Bewerber möchten sich ein genaues Bild über die Unternehmenswerte bilden und diese im Einstellungsprozess umfassend zu vermitteln zahlt sich langfristig aus.
Bewährte Praktiken für digitales Recruiting im Homeoffice sind:
- Im Allgemeinen ist Kommunikation der Schlüssel zum Erfolg. Im Zweifelsfall ist ein Zuviel an Kommunikation besser im Homeoffice, damit wirklich jeder wichtige Informationen erhält.
- Ebenso wichtig ist Transparenz. Durch die klare Definition von Erwartungen wählen Personaler die besten Leute für die Stelle aus.
- Festlegen der Ansprechpartner im Bewerbungsprozess.
- Verständnis dafür, was das Unternehmen erreichen will und wie die Stelle zu dieser Strategie beitragen wird.
- Auf die richtigen Hilfsmittel setzen, um einen menschlicheren Prozess zu ermöglichen. Zum Beispiel haben wir mit Zoom-Videogesprächen gute Erfahrungen gemacht, mit denen wir auch dann noch Kandidaten prüfen können, wenn diese über die ganze Welt verstreut sind.
- In unserem Telearbeit-Leitfaden für flexibles Arbeiten in der Praxis finden sich weitere Tipps und Tricks.
3. Die richtige Struktur und Organisation
Viele von uns wissen, wie das normalerweise abläuft: Der Personalverantwortliche schnappt sich kurz vor dem Bewerbungsgespräch den Lebenslauf, wirft einen ersten Mal darauf und beginnt aus dem Stegreif mit seinen Routine-Fragen. Unvorbereitete Interviews kann man vielleicht noch in einem persönlichen Vorstellungsgespräch unbemerkt improvisieren, aber in einem Video-Call ist das bedeutend schwerer.
Wichtige Vorbereitungen für ein virtuelles Video-Bewerbungsgespräch:
- Vorbereitet sein und den Lebenslauf zuvor zumindest schon einmal überflogen haben
- In die Kamera schauen
- Auf den richtigen Hintergrund im Homeoffice achten. Nacktbilder an der Wand oder die aufgehängte Wäsche sind nicht für die Augen zukünftigen Arbeitskollegen bestimmt
- Test-Videoanrufe mit Kollegen stellen sicher, dass alle Tools reibungslos funktionieren
- Die Bewerbungsgespräche für zukünftige Referenzen aufzunehmen ist immer eine gute Idee
- Strukturiere das Videogespräch so, dass Ihr in den ersten zehn Gesprächsminuten Gemeinsamkeiten findet, damit sich der Bewerber wohl fühlt. Wir Deutschen haben ja nicht gerade den Ruf die besten Smalltalker der Welt zu sein, aber Du wirst staunen, wie ein bisschen Smalltalk und persönliches Interesse den Ton eines Interviews bestimmen können.
"Finde das Katzenvideo, das Euch beiden gefällt, und sprecht darüber."
- Anna Brandt
4. Den Bewerbern die Chance zum Opt-in bieten
Wenn Menschen persönlich an einem Vorstellungsgespräch in einem Unternehmen teilnehmen, machen sie sich dabei ein Bild vom gesamtem Unternehmen, von den Büros und den Menschen darin. Dadurch wird normalerweise ein ziemlich guter erster Eindruck von den Werten und der Arbeitskultur vermittelt.
In einer digitalen Umgebung wie im Homeoffice bekommt man dagegen nur die Menschen zu Gesicht, mit denen das Vorstellungsgespräch auch tatsächlich geführt wurde. Oftmals besteht das aus einem One-on-One mit dem Personalmanager und Vorgesetzten. Ein richtiges Gefühl für die Kollegen erhalten Kandidaten dadurch nicht. Viele wertvolle Informationen über das Unternehmen, die Kultur und die Umgebung bleiben somit im Dunkeln bzw. müssen Bewerber dem Marketing-Talent des Personalers vertrauen. Allerdings vergrößert sich die Bereitschaft der Bewerber, sich für ein bestimmtes Unternehmen zu entscheiden, je mehr sie vom zukünftigen Unternehmen wissen.
👉 Tipp Nr. 1 für das digitale Recruiting: Um dieses Gefühl der mangelnden Bindung zu vermeiden, teilt das Personalmanagement bei Mollie mit den Bewerbern unternehmensweite, zum Teil auch sensible Daten zur Stelle, Struktur, Teams und Werten. Fragen an die Bewerber, wie sie das jeweilige Team oder Projekt bei Arbeitsbeginn organisieren würden hilft Personalern bei der Beurteilung, ob der Arbeitsstil des Bewerbers gut zur Unternehmenskultur passt.
5. Was treibt Deine Bewerber an?
Natürlich verbringen Personalvermittler viel Zeit mit dem Bewerber, um wirklich zu verstehen, wie er tickt und was ihn antreibt. Nur so kann der Personalbeschaffungsprozess individuell auf den Bewerber zugeschnitten werden.
👉 Nachbesprechung der Bewerber: Nach jedem Vorstellungsgespräch sollten Personaler sich mit dem Bewerber in Verbindung setzen und nachhaken, was ihm gefallen hat und welche Fragen noch offen geblieben sind.
6. Die berühmte Extrameile für den richtigen Bewerber
Unabhängig davon, ob es sich um digitale Einstellungs- und Einarbeitungsprozesse im Homeoffice handelt oder persönlich im Büro, lohnt es sich für den richtigen Bewerber keine Mühen und Kosten zu scheuen, damit er sich im Unternehmen wie zu Hause fühlt. Das geschieht etwa durch:
- Aktiv in Kontakt bleiben
- Ausgewählte Werbeartikel adressiert an den Bewerber, damit sich dieser noch vor dem ersten Arbeitstag angekommen fühlt.
- Eine Anleitung für Kollegen, die dazu auffordert, den neuen Mitarbeiter zeitnah persönlich willkommen zu heißen, hinterlässt einen positiven Eindruck.
- Ein Welcome-Paket noch vor dem ersten Arbeitstag vermittelt einen guten Eindruck über das Unternehmen, zum Beispiel Videos über die Büros, gehaltene Webinare, Links zu Blogs und sozialen Medienkanälen.
7. Personalisierte digitale Einarbeitung neuer Mitarbeiter im Homeoffice
Ein etabliertes Onboarding-Programm ist ein wichtiger Faktor für das Umsatzwachstum des Unternehmens. Da kein Mensch gleich ist, sollte auch die digitale Einarbeitungsphase neuer Mitarbeiter im Homeoffice so individuell wie möglich gestaltet werden.
👉 Remote-Onboarding Tipp Nr. 1: In dem Moment, in dem neue Mitarbeiter einen Vertrag unterzeichnen, sollten sich ihre zukünftigen Kollegen aktiv an ihr neues Teammitglied wenden. Denkbar sind beispielsweise E-Mails mit einem kleinen Willkommensgruß und eine Einladung zum gemeinsamen Kennenlernen in der Mittagspause.
Kannst Du Dich noch an Deinen ersten Tag im Büro erinnern? Wahrscheinlich warst Du genauso aufgeregt wie der neue Mitarbeiter. Ein herzlicher Willkommensgruß macht sofort Lust und Laune und sorgt für einen unglaublichen Motivationsschub. Diese kleinen Aufmerksamkeiten kosten kein Geld, nur ein bisschen Planung und Organisation, haben aber enorme Auswirkungen auf die Arbeitsatmosphäre im Unternehmen - gerade beim Onboarding im Homeoffice.
"Ich habe mich noch nie so willkommen bei der Arbeit gefühlt, auch wenn es im Homeoffice ist."
- Sagte der neue Mitarbeiter
8. Checkliste für digitales Recruiting und Onboarding im Homeoffice
Wollen wir uns nicht alle als etwas Besonderes fühlen und möchten gemocht werden? Nutze diese Gefühle und bringe Neulinge von Anfang an mit verschiedenen Mitarbeitern im Team zusammen, damit sie einen ständigen Ansprechpartner für alle Fragen haben. Weitere wichtige Arbeitsschritte sind:
- Eine persönliche Nachricht des Geschäftsführers an den Bewerber am ersten Arbeitstag heißt ihn willkommen und verschafft einen ersten Überblick über die Arbeitsweise im Unternehmen.
- Die Personalabteilung sollte dem Bewerber rechtzeitig Verträge, Programme usw. zukommen lassen.
- Noch vor dem ersten Arbeitstag sollte der neue Mitarbeiter die benötigten Geräte wie Laptop und Handy erhalten und auch eingerichtet haben.
- Lasse den neuen Kollegen dabei nicht alleine: Nichts ist frustrierender als lange E-Mails und Telefonate, bei denen sich am ersten Arbeitstag niemand verantwortlich fühlt. Technischer Support ist das absolute Minimum.
- Buddy-System: Noch vor der Einarbeitungszeit wird dem neuen Mitarbeiter ein Buddy zugeteilt, der ihm hilft, sich in seiner neuen Umgebung zurecht zu finden.
- Tägliche Check-Ins: Hier können neue Mitarbeiter unterschiedliche Fragen stellen und auch über nicht berufsspezifische Dinge sprechen.
- Virtuelle Mittagessen und Kaffeepausen helfen dabei, sich innerhalb des Teams besser kennenzulernen.
- Wissensspiele über das Unternehmen mit coolen Preisen und großen Ankündigungen sind eine unterhaltsame Möglichkeit, sich zu engagieren und die Werte des Unternehmens kennenzulernen.
- Clevere Personaler nutzen das Schwarmwissen ihrer Belegschaft und finden durch regelmäßige Feedback-Prozesse heraus, was Mitarbeiter über die Einstellungs- und Einarbeitungsprozesse denken, wie Sie sie verbessern können und was weggelassen werden kann.
👉 Allgemeines Learning: Beim digitalen Recruiting und Onboarding von Remote-Mitarbeitern müssen Personalmanager anfänglich mehr Zeit in die Interaktion mit den Bewerbern investieren, da viele zufällige Begegnungen vor der Kaffeemaschine oder auf den Fluren des Büros im Homeoffice wegfallen. Ohne persönlichen Austausch fällt es vielen Menschen schwerer, sich mit ihrem neuen Unternehmen und Kollegen zu vernetzen und ein echtes Gefühl der Gemeinschaft zu etablieren. Oftmals fühlen sie sich sogar sozial isoliert und einsam im Homeoffice bei der mobilen Arbeit. Häufigere Berührungspunkte, konstruktives Feedback und schnellere Follow-ups beugen diesen Gefühlen vor.
Wichtig für einen effektives digitales Recruiting und Onboarding ist, dass sich die Personalmanager und Vorgesetzten in die Lage ihrer Bewerber und neuen Mitarbeiter versetzen. Das sollte schließlich nicht allzu schwer sein, waren wir doch alle irgendwo schon einmal der oder die Neue und können das Gefühl des Verlorenseins und Überwältigung nur zu gut nachempfinden. Gute Personaler beugen dem vor und holen ihre neuen Mitarbeiter rechtzeitig ab, damit sie sich am Arbeitsplatz willkommen und glücklich fühlen. Auf diese Weise gehört eine hohe Mitarbeiterfluktuation im Unternehmen der Vergangenheit an.