Durch das monatelange Arbeiten im Homeoffice sind bei vielen Arbeitnehmer*innen neue Stressfaktoren hinzugekommen – und das wirkt sich auch auf deren psychische Gesundheit aus. Einige Teammitglieder fühlen sich gestresst und kämpfen mit Isolation und Einsamkeit im Homeoffice; andere wiederum verspüren den Druck, dass sie rund um die Uhr erreichbar sein müssen.
Hinzu kommt: Menschen mit psychischen Störungen erleben immer noch gesellschaftliche Stigmatisierung. Sich um das eigene Wohlbefinden zu kümmern, hat deshalb den gleichen Stellenwert wie regelmäßiger Sport und eine gesunde, ausgewogene Ernährung.
Führungskräfte sollten also das Rundum-Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter*innen im Blick behalten und dafür sensibilisiert sein, wie sie ihr Team unterstützen können. Denn Depressionen, Angstzuständen, Burnout oder soziale Angst erfordern unterschiedliche Maßnahmen.
Wie können wir also die mentale Stärke eines Teams fördern, das im Homeoffice arbeitet? Genau darüber haben wir mit Hilary Klassen – Mitbegründerin und CEO von bestselfy sowie Mitbegründerin von The Secret HR Society – gesprochen. In diesem Artikel erfährst Du, wie Du Anzeichen psychischer Belastungen erkennst und was Du vorbeugend dagegen tun kannst.
Wie können Manager*innen und Führungskräfte das Engagement ihrer Mitarbeiter*innen im Homeoffice fördern?
#1 Führungskraft und Coach zugleich
Ja, sei eine Führungsperson und entwickle ein Gefühl für die Belange Deiner Mitarbeiter*innen; Du musst wissen, wie Deine Teammitglieder wirklich mit der ungewohnten Arbeitssituation zurechtkommen, damit sie weiter engagiert arbeiten. Wie? Frage gezielt nach. Die wichtigste Frage jeden Tag sollte sein: „Wie geht es Dir? Wie geht es Dir wirklich?“. Und zwar genau in dieser Reihenfolge.
Dies Frage solltest Du nicht nur in Vier-Augen-Gesprächen stellen, sondern auch in Kurznachrichten zum Arbeitsauftakt. Tu dies TÄGLICH. Führe im zweiwöchentlichen Rhythmus Gespräche mit Deinen Mitarbeiter*innen durch, in denen ihre Entwicklung im Mittelpunkt steht. Mögliche Fragen, die Du in diesen Gesprächen stellen kannst, sind:
- „Was ist in letzter Zeit besonders gut gelaufen?“ (unter #2 erfährst Du, wie Du ihre Stärken einbeziehen kannst)
- „Was ist nicht so gut gelaufen?“
- „Was möchtest Du verbessern?“
- „Wie kann ich Dich dabei unterstützen?“
Übrigens sollte es nicht bei einer Fragerunde bleiben. Vielmehr sollten diese Fragen zum festen Bestandteil Deiner One-on-One-Wachtumsgespräche werden. Verfolge und miss die Weiterentwicklung. Fördere die Entwicklung und das Wachstum jedes einzelnen Teammitglieds. Wenn Du nicht nur als ihre Führungskraft, sondern auch als ihr*e Coach*in auftrittst, bleibt die Verbundenheit und Nähe auch im Homeoffice erhalten.
#2 Entdecke die Superkräfte der einzelnen Teammitglieder
Mithilfe eines Persönlichkeitstests wie be5 von bestselfy kannst Du drei bis fünf Top-Stärken jedes Teammitglieds bestimmen – und in Mitarbeitergesprächen näher darauf eingehen. Den Stärken Deiner Mitarbeiter*innen auf den Grund gehst Du mit Fragen wie:
- „Kannst Du mir erzählen, wie Deine ‚Offenheit (für neue Erfahrungen)‘ Dir geholfen hat, x zu erreichen?“
- „Welche Aufgaben bereiten Dir am meisten Freude?“
- „Wann bist Du in Bestform?“
- „Welche Aufgaben geben Dir die meiste Energie?"
Lass Deine Teammitglieder zwei Wochen lang ein Tagebuch über ihre Stärken am Arbeitsplatz führen und besprich diese anschließend mit ihnen. Du solltest aber auch selbst ein Tagebuch führen, in dem Du konkrete Beispiele für Situationen notierst, in denen Teammitglieder ihre Stärken gezeigt haben und diese erfolgreich eingesetzt haben. Darauf aufbauend kannst Du Dein Team ausrichten, sodass jedes Teammitglied die Aufgaben übernimmt, die ihm am besten liegen. Dein Team wird engagierter arbeiten und Spitzenleistungen erzielen. Versprochen!
„Wenn Du Deine Mitarbeiter*innen als Coach*in unterstützt, bleibt die Verbundenheit und Nähe auch im Homeoffice erhalten.“
Hilary Klassen
Mitbegründerin & CEO – bestselfy
#3 Bei Lob und Anerkennung nicht sparen
Zunächst solltest Du in Erfahrung bringen, wie die einzelnen Teammitglieder Lob und Anerkennung erhalten möchten – persönlich, im Team oder eine Mischung aus beidem. Wichtig ist nämlich nicht nur, dass Du Deine Teammitglieder lobst, sondern auch wie. Der Beziehungsforscher John Gottman hat mit seinem Team in den 1970er Jahren positive und negative Interaktionen untersucht und festgestellt, dass wir fünf positive Erfahrungen (Rückmeldungen/Interaktionen) brauchen, um eine negative Erfahrung wieder gutzumachen.
Menschen sind auf Zustimmung und Bestätigung angewiesen, um Erfolg zu haben und um auch weiterhin Selbstvertrauen aufzubauen. Dies hilft uns, zur Höchstform aufzulaufen und unser persönliches und berufliches Wachstum zu fördern. Wann hast Du Deinen Mitarbeiter*innen das letzte Mal positives Feedback gegeben? Mach dies häufiger – mindestens einmal am Tag.
Wie können Manager*innen und Führungskräfte ihre Mitarbeiter*innen im Homeoffice motivieren?
#1 Selbstmotivation fördern
Wusstest Du, dass es eigentlich nicht möglich ist, einen Menschen zu motivieren?
Motivation sollte immer von innen heraus kommen – also intrinsisch sein (das heißt, Motivation wird von jedem Einzelnen bestimmt) – und durch das Arbeitsumfeld gefördert werden. Doch auch Du kannst die Motivation Deines Teams stärken. In dem Buch „Drive“ (deutsche Version hier) untersucht Daniel Pink die Elemente von wirklicher Motivation. Demnach müssen wir uns beim Aufbau eines intrinsisch motivierten Teams auf drei Schlüsselfaktoren konzentrieren:
- Selbstbestimmung - Den Mitarbeiter*innen wird vertraut und sie werden dazu ermutigt, Verantwortung für ihre Arbeit und ihre Weiterentwicklung zu übernehmen (siehe oben #1).
- Perfektionierung - Mitarbeiter*innen können ihr Potenzial voll ausschöpfen und erhalten alle Werkzeuge, die sie benötigen, um ihre Fähigkeiten weiter auszubauen. Lässt Du Deine Mitarbeiter*innen an einem Herzensprojekt oder funktionsübergreifend mit anderen Teams arbeiten? Wie gibst Du Gelerntes häufig weiter?
- Sinnerfüllung - Mitarbeiter*innen werden dazu ermutigt, ihre Fähigkeiten für einen „höheren“ Zweck einzusetzen – Wie unterstützt ihre Arbeit die Ziele und die Vision, den Auftrag des Unternehmens? Wie finden sich Mitarbeiter*innen oder einzelne Teams zusammen, die sich außerhalb der Arbeit für einen guten Zweck engagieren möchten? Welche Rolle kannst Du dabei spielen? Unser Tipp: Fang bei Dir selbst an und stelle ein Team auf.
#2 Beziehungen aufbauen und Anschluss ermöglichen
Das heißt: weniger reden und mehr organisieren. Veranstalte ein wöchentliches „Team Sync“-Treffen, also wöchentlich wiederkehrendes Team-Event zur Teamkoordination. Erstelle eine kleine Agenda dafür, die die Höhepunkte der Woche umfasst, und alle einbezieht. Und halte Dich an diese wöchentlichen Teambesprechungen (Ja, das Meeting mit den Vorgesetzten kann warten!). Am besten beginnst Du diese Treffen mit einem „All Share“ – nutze eine wöchentliche Einstiegsfrage zur Selbstreflexion oder sogenannte Eisbrecher-Fragen, um Deine Teammitglieder miteinander ins Gespräch zu bringen.
Fragen wie die folgenden eignen sich bestens dafür:
- „Wenn Du mit einer Person zu Abend essen könntest, die Dich am meisten inspiriert, wer wäre das?“
- „Welches ist Dein Lieblingsreiseziel?“
- „Was ist Deine größte Stärke und warum?“
Auch bei Veranstaltungen außerhalb der Arbeit solltest Du nicht versuchen, Dein Team zu einem virtuellen Kneipenquiz zu zwingen. Frage Deine Teammitglieder lieber, was sie gemeinsam tun möchten. Welche Interessen und/oder Aktivitäten teilen die Teammitglieder? Wer aus dem Team möchte sich darum kümmern und etwas organisieren? Wer wie viel Zeit investiert, hängt auch von anderen Verpflichtungen ab. Deshalb nimm Rücksicht auf die zeitlichen Ressourcen Deiner Teammitglieder, insbesondere bei Angehörigen, die jemanden pflegen oder betreuen, Eltern und Personen, die sich anderweitig verpflichtet haben. Wenn sich die Teammitglieder nicht auf einen festen Termin einigen können, dann plane die Treffen an wechselnden Tagen/zu unterschiedlichen Uhrzeiten. Team-Sync-Meetings sollten auf jeden Fall Priorität haben, da sie den Zusammenhalt in Deinem Team nachhaltig fördern.
#3 Ein Gefühl von Zugehörigkeit fördern
Gib Deinem Team Einblicke in Deine Gefühlswelt, teile mit Deinen Mitarbeiter*innen, wie Du mit konkurrierenden Prioritäten oder unerwarteten Situationen umgehst. Sprich ebenfalls über Momente, in denen Du nicht in Bestform warst oder Dir sogar Fehler unterlaufen sind. Bist Du in der Lage, offen über Deine Höhen und Tiefen zu sprechen, vermittelst Du Deinem Team, dass Du selbstbewusst und selbstreflektiert bist. Und Du zeigst zugleich, dass Du Menschen so akzeptierst, wie sie sind, also mit ihren Stärken und ihren Schwächen.
Es ist die Aufgabe von Personalabteilungen, ein positives Teamumfeld zu schaffen. Psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz fördert eine vertrauensvolle Atmosphäre, in der es also möglich, offen seine Meinung zu äußern und sich von seiner besten Seite zu zeigen. Ein Gefühl von Zugehörigkeit ist in der heutigen, sich stetig verändernden Arbeitswelt unverzichtbar. Mit positivem Denken und einem Growth Mindset kannst Du anderen Teammitgliedern helfen, die Wirkung ihrer eigenen Arbeit anders wahrzunehmen.
Wie entwickeln Führungskräfte und HR-Manager*innen Verständnis für das Wohlbefinden der Mitarbeiter*innen?
Sind Führungskräfte und Manager*innen in der Lage, bei ihren Mitarbeiter*innen psychische Belastungserscheinungen zu erkennen, können sie angemessen darauf reagieren. Beispielsweise können sie ihnen Erholungspausen anbieten, ihr Arbeitspensum reduzieren oder Fristen und Deadlines anpassen.
Bitte um ein Gespräch mit dem Teammitglied, wenn der Mitarbeitende:
- niedergeschlagen und depressiv wirkt und die Leistung nachlässt oder sich verändert,
- beispielsweise etwas erwähnt wie „Ich hatte in letzter Zeit mit persönlichen Problemen zu tun.“,
- empfindsam wirkt, zum Beispiel weint, Augenkontakt meidet, in Besprechungen das Video nicht einschaltet, sich aus sozialen Interaktionen zurückziehen (auch digital),
- um Zeit/Ausgleich für einen Arzt- oder Therapiebesuch bittet,
- offen mitteilt, dass es mit Angstzuständen, Depressionen, Burnout oder ähnlichem zu kämpfen hat oder hatte.
Wie?
Stelle einen persönlichen Bezug her: Angstzustände, Depressionen, Burnout (entweder aus eigener Erfahrung oder über jemanden, der Dir nahesteht)
Versuche nicht, jemanden zu heilen: Bitte bei Fragen zunächst um Erlaubnis, diese stellen zu dürfen; frage zum Beispiel „Ist es okay, wenn ich danach frage, ob Du Dich in der vergangenen Woche schlecht gefühlt hast?“ Lass die Person reden und biete ihr einfach Deine Unterstützung an. Mach deutlich, dass Dir etwas an Deinem Gegenüber liegt.
Frage nach, auch wenn Du psychische Belastungen oder ähnliches nicht aus eigener Erfahrung kennst:
- „Möchtest Du einen Rat oder soll ich nur zuhören?“
- „Kann ich Dich in irgendeiner Weise unterstützen?“
- „Darf ich fragen, wie sich Angst anfühlt?“
Weitere spannende Beiträge über psychische Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz findest Du auf unserem Blog:
- Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz fördern - Tipps für Präventionsmaßnahmen
- Mentale Gesundheit stärken und die Verbindung zu sinnstiftender Arbeit
- Maßnahmen zur Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz
-
Aktuelle Studie zum Arbeitsschutz: Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz
Über Hilary Klassen
Hilary Klassen glaubt an die Bedeutung positiver menschlicher Interaktionen für Top-Leistungen und Wohlbefinden. Sie hat als Unternehmerin, Gründerin und CEO, HR-Leaderin und Coachin mit Start-ups und Unternehmen in Europa, den USA, Asien und dem Nahen Osten zusammengearbeitet. Sie ist außerdem die Gründerin der digitalen Coaching-Agentur bestselfy und Mitbegründerin von The Secret HR Society, die an die Kraft von Netzwerken und Open Source glaubt.