Vom Tellerwäscher zum Millionär bzw. zum Master-Abschluss an der Universität Oxford: D&I-Experte Coach Dumi Senda, weiß wie man bedeutsame Veränderungsprozesse herbeiführt und was es bedeutet, Vielfalt und Inklusion zu leben.
"Es fühlt sich an, als ob man in einem Tal zwischen zwei Hügeln gefangen ist: Hinter Dir liegt ein gerade bezwungener Hügel, der Menschen von notwendigen Veränderungen überzeugen soll. Und vor Dir befindet sich ein noch größerer Hügel, mit dem der Wandel erreicht werden soll." Mit diesen Worten beschrieb ein Kollege in einem meiner Workshops die Herausforderungen für kleine und mittelständische Unternehmen, D&I, also die Vielfalt und Inklusion am Arbeitsplatz erfolgreich voranzubringen.
Personaler, Verantwortliche für Diversity Management oder Führungskräfte, insbesondere in kleinen bis mittleren Unternehmen (KMU), können den Konflikt wahrscheinlich nachempfinden. Mit dem Aufkommen der weltweiten Covid-19-Pandemie nahmen die erwähnten "Hügel" nur noch mehr zu.
Aktuelle Ereignisse wie die Me-too-Debatte und die Black Lives Matter-Bewegungen offenbaren systembedingte soziale Benachteiligungen, die uns alle vor die Herausforderung stellen, Unternehmen, Arbeitsbereiche, Communitys und die Gesellschaft insgesamt vielfältiger und inklusiver zu gestalten. Allerdings bedeutet jeder Wandel trotz bester Absichten zunächst einmal eine große Hürde und Anstrengung. Besonders wenn man anfangs noch nicht die richtigen Maßnahmen und Schritte kennt.
Angesichts des Spannungsfeldes zwischen steigenden Anforderungen und rückläufigen finanziellen Mitteln kommt dem Diversity Management eine Schlüsselrolle zu. Die Frage lautet hier, wie sich notwendige Veränderungsprozesse effektiv umsetzen lassen. In meinem Gastbeitrag geht es um praktische Maßnahmen, die den Wandel vorantreiben und auch die klassischen Fehler, die es zu vermeiden gilt.
Häufiger Fehler im Diversity Management: Nichts tun
Die größte Hürde für das Diversity Management ist nicht etwa ein Ressourcenmangel, sondern vielmehr ein Mangel an Einfallsreichtum. Nicht selten sind wir blind für die Dinge, die wir eigentlich schon haben und sehen nur das, was wir nicht haben wie zum Beispiel die begrenzten finanziellen Mittel und nicht die kreative Kraft unserer Mitarbeiter.
Tatenlosigkeit beim Thema Vielfalt und Inklusion entspringt auch der Angst, etwas falsch zu machen, insbesondere beim Umgang mit der ethnischen Herkunft. Die Diskussionen zu diesem Thema werden häufig in einer "sie" und "wir"-Art und Weise geführt. Das schürt nur unnötig Misstrauen und lähmt den Prozess.
Entscheidend ist hier, gemeinsam mit Kollegen und anderen Beteiligten einen sicheren Rahmen zu schaffen, sodass wir uns auf eine gemeinsame Reise begeben können, auf der Fehler (nicht zu verwechseln mit mutwilliger Ignoranz) durchaus erwünscht sind. Oberste Priorität hat hier der gemeinsame Lern- und Wachstumseffekt.
Nur das Nötigste tun
Eine schöne Präsentation zu schreiben, die dann im Schreibtisch verschwindet, genügt nicht. Letzten Endes geht es darum, Maßnahmen auch umzusetzen.
Deshalb müssen alle im Unternehmen bewusst ihre Motivation überprüfen und mit der nötigen Transparenz vorgehen. Nur so vermeidet man undurchdachte Vorgehensweisen, die grundlegende Probleme entweder übersehen oder verschlimmern.
Im Zuge der Black Lives Matter-Bewegung haben sich zum Beispiel viele Unternehmen in Europa, Großbritannien und den USA darum bemüht, Schwarze einzustellen, um ihr “Diversity-Problem” in den Griff zu kriegen. Die meisten hatten jedoch nicht die Vorarbeit für ein integratives Umfeld zur Förderung einer vielfältigeren Arbeitsumgebung geleistet. Letzten Endes erzielten sie zwar ein gewisses Maß an sichtbarer Vielfalt, schafften es aber dennoch nicht, für die notwendige Integration zu sorgen, die für die Unterstützung heterogener Teams notwendig ist.
Zwar führte diese Einstellungswelle zu einer besseren kulturellen Zusammensetzung der Mitarbeiter auf der ersten Karrierestufe. In den höheren Rängen im Management, in den Führungsetagen und in der Geschäftsführung blieben die meisten Unternehmen jedoch weitgehend unter sich. Manche Maßnahmen scheinen hier also nicht zu greifen.
Welche Mittel eignen sich also für einen effektiven und nachhaltigen Veränderungsprozess? Ich empfehle die folgende fünfstufige Agenda, die auf der Methode der Appreciative Inquiry basiert und echte Vielfalt und Integration am Arbeitsplatz hervorbringt:
1. Maßnahme: Ausgangssituation analysieren
Die Versuchung ist groß, sofort zu handeln. Aber schlecht durchdachte Maßnahmen hemmen oftmals den Wandel. Zur Vermeidung unangemessene und ineffektiver "Lösungsstrategien" sollten Personaler und Manager die Ausgangssituation analysieren und verstehen:
- Was funktioniert gut?
- Was ist problematisch?
- Welche Bereiche müssen verbessert oder verändert werden?
Wie so oft im Leben ist auch im Diversity Management die Ausgangslage nicht immer die gleiche, in allen Bereichen wird es Stärken und Schwächen geben. Entscheidend ist, dass sich Unternehmen bewusst für Verbesserungen einsetzen und einen zukunftsorientierten und kooperativen Ansatz verfolgen.
Eine klar definierte Ausgangssituation ermöglicht, vorhandene Ressourcen effektiv auf notwendige Maßnahmen zu fokussieren. Dadurch werden Prioritäten gesetzt und dringende Aufgaben in Angriff genommen, auf denen in der Folge aufgebaut werden können.
Unter Umständen lohnt es sich, leicht zu erledigenden Aufgaben als Erstes anzugehen. Die, die nur wenig Aufwand und Ressourcen erfordern, während Du Dich an die größeren Aufgaben herantastest. Diese Vorgehensweise leistet den nötigen Motivationsschub unter der Belegschaft, da der Einsatz mit schnellen Ergebnissen belohnt wird.
Im Umkehrschluss kann man Ressourcen auf komplexere Programme lenken, die langfristig einen größeren Nutzen bringen. In diesem Fall muss unbedingt kommuniziert werden, dass die Ergebnisse nicht sofort sichtbar sind. Nur so setzen sich Mitarbeiter langfristig für eine Sache ein. Dabei gibt es kein Patentrezept. Vielmehr geht es darum, herauszufinden, was im jeweiligen Unternehmen am besten funktioniert, und sicherzustellen, dass alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Im Folgenden sind einige praktische Schritte aufgeführt, mit denen eine Diversity Management-Analyse durchgeführt werden kann.
1. Branchenweite Daten nutzen
Für einen Überblick über den aktuellen Entwicklungsstand im Diversity Management in Unternehmen und der jeweiligen Branche empfiehlt es sich, auf bereits vorhandene Forschungsergebnisse zurückzugreifen. Immerhin sind Kapazitäten zur Durchführung von Marktstudien begrenzt. Dabei beziehen sich die Daten nicht nur auf bloße Statistiken, sondern auch auf qualitative Daten, wie z.B. Geschichten über die persönliche Erfahrung von Menschen, und sind daher ebenso wertvoll. Hilfreiche Fragen sind hier:
- Welche Themen beschäftigen Unternehmen mit ähnlicher Größe und Arbeit in meinem Fachbereich?
- Wie gehen sie vor, um diese Herausforderungen zu bewältigen?
Dabei sollten die Erfahrungen anderer nicht einfach nachgeahmt werden. Vielmehr geht es um eine Inspirationsquelle und die Bedeutung für den eigenen Bereich zu überprüfen.
2. Akteneinsicht
Ebenso empfehle ich eine gründliche Überprüfung und Analyse der wichtigsten Unterlagen wie z.B.
- Zentrale Strategien
- Richtlinien und Leitlinien
- Kommunikationsabläufe
- Schulungen und Weiterbildungsmaßnahmen
- Einstellungs- und Beförderungsentwicklungen
- Gehaltsstrukturen u. v. m.
Die Bestandsaufnahme sollte mit Best Practices untermauert werden, um den aktuellen Stellenwert und die Qualität des Diversity Managements zu ermitteln.
3. Umfragen
Der beste Weg, um die Wünsche und Bedürfnisse der Mitarbeiter zu verstehen, ist sie selbst zu fragen. Umfragen sind ein kostengünstiger Ansatz, einen umfassenden Einblick in die Lebenswirklichkeit der Menschen zu erhalten. Für optimale Ergebnisse sind die Fragen sorgfältig auszuwählen, sodass sie möglichst breit gefächert sind und nützliche Informationen liefern.
Vor dem Versenden der Fragebogen ist es sinnvoll, Mitarbeiter über den Nutzen der Umfrage der D&I-Strategie zu sensibilisieren und so ihre Zustimmung und Vertrauen zu gewinnen - ein wesentlicher Erfolgsfaktor für eine hohe Teilnehmerquote.
Für ein besseres Verständnis der persönlichen Erfahrungen können Fokusgruppen und anschließende 1-2-1 Gespräche mit den Stakeholdern durchgeführt werden. Hier soll ein sicherer Raum geschaffen werden, in dem sich Mitarbeiter trauen, ihre Meinung zu sagen.
Ein externer Berater kann zusätzlich dazu beitragen, dass der Prozess fair, transparent und sorgfältig abläuft. Ich bezeichne dies als den mikroskopischen Blick auf das Diversity Management, weil er das Verhältnis der Mitarbeiter zur Arbeitsplatzkultur widerspiegelt.
2. Maßnahme: Gemeinsam träumen
Gemeinsam zu überlegen, wo es hingehen soll, eine klare Richtung festzulegen und ein Gefühl des Miteinanders zu schaffen ist in dieser Phase enorm wichtig.
Je mehr Menschen aus verschiedenen Communitys und Bereichen des Unternehmens einbezogen werden, desto repräsentativer fallen die Eindrücke aus, die im Laufe der Gespräche geäußert werden. Um den Fokus der Auseinandersetzung auf die Vision und den Leitgedanken des Unternehmens zu lenken, empfiehlt sich zunächst eine Analyse der Werte in der Praxis an.
Dazu werden die wichtigsten Themen gesammelt und für die nächste Entwicklungsstufe herangezogen. Dabei verlaufen die Phasen nicht zwangsläufig linear; Anpassungen sind durchaus erwünscht.
3. Maßnahme: Agenda aufsetzen
Ausgehend von einem gemeinschaftlich erarbeiteten Ziel geht man gedanklich zurück zum Ausgangspunkt und entwickelt die entsprechenden Maßnahmen. Auf diese Weise werden nur relevante und effektive Ziele umgesetzt. Außerdem erlaubt diese Vorgehensweise eine effektive Ressourcenzuteilung, beschränkt Streuverluste und garantiert die besten Voraussetzungen für das Erreichen des angestrebten Ziels.
Für den Anfang können sich Personaler und Manager an den folgenden Vierstufenplan für echte Vielfalt und Inklusion orientieren:
- Eigenverantwortung: Veränderung und Fortschritt beginnen immer mit Menschen, die ihre Denkweisen, Haltungen und Handlungen ändern wollen. Frage Dich, wie verkörpere, praktiziere und fördere ich die Werte der Integration? Was mache ich gut, was sollte ich unterstützen und teilen? Was könnte ich besser machen, was sollte ich ändern oder verbessern? Wie kann ich andere in meinem Einflussbereich dabei unterstützen, notwendige Veränderungen vorzunehmen?
- Unterschiede suchen: Das schließt die Personalbeschaffung ein, sollte sich aber nicht darauf beschränken. Aus struktureller Sicht lohnt sich die Frage, ob mit allen Bevölkerungsgruppen zusammengearbeitet wird. Mithilfe moderner Technik hat sich die Reichweite von Unternehmen deutlich verbessert, sodass eine räumliche Entfernung nicht unbedingt zu einer Entfremdung führen muss. Mit Blick auf die operative Ebene müssen wir uns fragen, ob unsere Vorgehensweisen und Prozesse von unterschiedlichen Denkweisen und Erfahrungen geprägt sind und ob sie diese berücksichtigen.
- Unterschiede unterstützen: Es gibt immer mehr Erkenntnisse, die die Vorteile einer gezielten Unterstützung für Randgruppen unter den Mitarbeitern und Dienstleistungsnutzern zeigen. Positive Maßnahmen unterscheiden sich dabei von der sogenannten positiven Diskriminierung (letztere ist in den meisten europäischen Ländern und im Vereinigten Königreich illegal). Dennoch bedeuten positive und gesetzlich verankerte Maßnahmen eine Angleichung der Ausgangsbedingungen, damit benachteiligte Gruppen eine faire Chance auf Erfolg bekommen. Hier kann bspw. Mentoring und bzw. oder Coaching helfen, Mitarbeiter aus unterrepräsentierten Bevölkerungsgruppen den Weg in höhere Positionen zu ebnen und so die Vielfalt in den höheren Bereichen von Unternehmen zu erhöhen.
- Für Unterschiede eintreten: Wir alle können und sollten für Unterschiede in der Gesellschaft einstehen. Dazu gehört, dass wir für Gerechtigkeit eintreten und Verbündete für Kollegen sind, die an den Rand gedrängt werden. Voraussetzung dafür ist, unsere Stimme für die Aufrechterhaltung der Werte der Inklusion zu erheben. Hilfreiche Fragen dabei sind: Bin ich Teil einer Gruppe, die andere ausschließt? Verschafft diese Gruppe ihren Zugehörigen einen unfairen Vorteil, während sie gleichzeitig für Außenstehende von Nachteil ist? Was sollte ich tun, um ausgegrenzten Gruppen Zugang zu verschaffen oder die Nachteile des Außenseiterdaseins zu beseitigen?
4. Maßnahme: Verpflichtungen einhalten
Eine Strategie ist immer nur so gut wie ihre Ergebnisse, und um Ergebnisse zu erzielen, müssen die Pläne in die Tat umgesetzt werden. Dabei kann das Scheitern genauso wertvoll sein wie ein erfolgreicher Abschluss, wenn wir es als Chance begreifen und beim nächsten Mal besser machen.
Das Diversity Management sollte als kontinuierlicher Entwicklungsprozess angesehen werden, um langfristiges Vertrauen in das Engagement für die Chancengleichheit in der Belegschaft zu schaffen.
Nachfolgend einige konkrete Tipps zur Einhaltung von einmal getroffenen Zusagen:
- Ein Projektteam, das mit der Umsetzung des Programms betraut wurde, hilft die Verantwortungsbereiche abzustecken und den Überblick über Projektfortschritte, die Ressourcenverteilung und das Stakeholder-Management zu behalten.
- Ein klar definierter Zeitrahmen zur Umsetzung der einzelnen Projektbestandteile ist unbedingt einzuhalten. Soweit möglich, solltest Du die Verfügbarkeit der verschiedenen Akteure prüfen und Kalendereinladungen verschicken.
- Genügend Zeit einplanen, die verschiedenen Interessensgruppen zu befragen, was bisher gut und welche Maßnahmen weniger gut gelaufen sind. Ebenso spielen Änderungsvorschläge hier eine Rolle, um auf den richtigen Kurs zu kommen oder zu bleiben. Pläne sind hilfreich für eine gewisse Strukturierung der Zielerreichung. Dennoch sollten sie nicht von notwendigen Anpassungen abhalten.
- Durch Feedback-Schleifen kann Verantwortung gegenüber Kollegen und dem gesamten Team übernommen werden.
- Grenzen kennen und setzen: Achte auf das Wohlbefinden im Team - besonders bei hochemotionalen Themen. Es ist völlig in Ordnung auszusprechen, dass man Hilfe braucht, oder dass man für eine Aufgabe zu unerfahren fühlt. Grenzen zu kennen und setzen ist ein Zeichen für Kompetenz, nicht Unfähigkeit.
5. Maßnahme: Einfluss verbreitern
In den meisten Unternehmen gilt das Motto "wird etwas gemessen, so wird es auch erledigt.” Die Ziele und Resultate zu messen verdeutlicht den Mehrwert der getätigten Investitionen einer erfolgreichen Diversity Management-Agenda.
Dabei sollten sich Mitarbeiter nicht rechtfertigen müssen. Mit dem Finger auf andere zu zeigen ist niemals zielführend. Viel besser ist eine offen gelebte Fehlerkultur, bei der aus Fehlern gelernt werden das und die auf eine Verbesserung der Ergebnisse hinarbeitet.
Ein Aspekt, der im Diversity Management häufig übersehen wird, ist der Austausch von Erfahrungsberichten, die wir als Einzelpersonen, Teams, Unternehmen, Branchen und in der Gesellschaft erlebt haben. Hier besteht das Risiko, dass über Vielfalt und Inklusion nur in negativen und reißerischen Begriffen gesprochen wird, die keinen sinnvollen Fortschritt bedeuten.
Unsere Erfahrungen zu schildern, sollte nicht den Eindruck einer "perfekten Entwicklung" mit "perfektem Ausgang" zu erwecken, sondern vielmehr dazu einladen, die Herausforderungen, Chancen und Vorteile zu verstehen. Das inspiriert andere dazu, Diversity Management als eine gemeinsame Aufgabe zu begreifen, die uns alle angeht.
Über Coach Dumi
Coach Dumi hat sich vom Fegen von Fabrikhallen über einen Masters-Abschluss an der Oxford University zu einem weltweit anerkannten Experten und Coach im Diversity Management hochgearbeitet. Seitdem arbeitet er mit internationalen Unternehmen an der Gleichstellung am Arbeitsplatz, Vielfalt und Inklusion. Seine Geschichte inspirierte ihn dazu, anderen dabei zu helfen, ihren Weg zu finden, die eigenen Stärken zu entdecken und ein erfülltes und erfolgreiches Leben zu führen. Auf Youtube und LinkedIn gibt es mehr Infos.